Erschrocken fuhr Ruben auf, als Sebastian auf einmal losbrüllte.
"Okay, ich... ich mach ja schon", stammelte er und sah entsetzt auf seinen Freund hinunter, der gerade einen völligen Aussetzer zu haben schien.
Er riss von dem Anblick los und versuchte stattdessen hektisch, die Handschellen zu lösen, was sich als ziemlich schwierig herausstellte.
Seine eigenen Hände zitterten etwas vor Schreck, und dass Sebastian nicht aufhörte herumzuzappeln machte es auch auf keinen Fall einfacher den kleinen Mechanismus zu erreichen.
Was war denn jetzt passiert?
Er hatte nichts, aber auch gar nichts mitbekommen bevor Sebastian ihn angeschrien hatte.
"Versuch die Hände still zu halten", wies er mit ruhiger Stimme an, doch davon schien nichts bei dem Älteren anzukommen.
Endlich schaffte Ruben es die Handschellen zu lösen, nicht ohne sich vorher den Finger einmal schmerzhaft zwischen der Kette und dem Bettgestell einzuklemmen.
"Okay, ich habs", erklärte er schließlich und wollte eine Hand an Sebastians Wange legen, doch stattdessen musste er sogar kurz in Deckung gehen, um nicht von den jetzt nicht mehr zurückgehaltenen Händen getroffen zu werden, als diese auf ihn zuzufliegen schienen.
"Sebastian, hey!"
Was sollte er denn jetzt machen? Am besten erst dafür sorgen, dass er sich nicht aus Versehen noch eine fing und dann herausfinden, was eigentlich los war.
Er griff nach den Schultern des Älteren und hielt ihn fest.
"Baby, was ist denn los?", fragte er besorgt. "Beruhig dich... alles ist in Ordnung, okay?"

Sebastian wurde einen Moment tatsächlich schwarz vor Augen vor Panik.
Er wusste nicht mehr, wo oben und unten und was jetzt real und was nur Einbildung war.
Als seine Hände endlich frei waren, versuchte er sofort, sich etwas Platz zu verschaffen.
Am Rand bekam er mit, dass Ruby mit ihm sprach und irgendwas von ihm wollte.
"Fass mich nicht an!", keuchte er und schlug Rubys Hände weg, als die seine Schultern fest hielten. "Lass mich-"
Sebastian rutschte von dem Jüngeren weg und presste eine Hand auf seine Brust, um wieder Kontrolle über seinen Atem zu bekommen.
Die andere drückte er gegen seinen Kopf, in dem immer noch das totale Chaos herrschte.
Das funktionierte allerdings nicht lange, weil seine Hände und vor allem Handgelenke höllisch schmerzten.
"I...Ich muss hier raus", sagte er mit zitternder Stimme.
Um Gottes Willen, jetzt fiel ihm auch erst auf, dass er in demselben Zimmer war, in dem das damals passiert war.
Dadurch, dass er es als Kind nicht verstanden hatte, hatte er auch keine Angst vor dem Zimmer gehabt oder Albträume oder ähnliches.
Stattdessen stürmte das jetzt alles auf einmal auf ihn ein.
Er stolperte aus dem Bett und schnappte sich seine Boxershorts, in die er eilig hinein stieg, dann floh er aus seinem Zimmer.
Eine Weile irrte er durch die verwinkelten Flure des großen Hauses, bis er an Georgias Zimmer ankam.
Seine Schwester war ja nicht da, also war er dort sicher.
Sebastian riss die Tür auf und schloss sie eilig hinter sich, bevor er vor dem Bett in sich zusammen sank und schwer atmend und mit schmerzverzogenem Gesicht liegen blieb.

---> Georgias Zimmer//

Ob Pech ansteckend war?
Dass Ruby vom Pech verfolgt war, war ja keine neue Information für den Kapitän, aber irgendwie hatte Sebastian das Gefühl, dass ihm, seit er mit dem Kleinen zusammen war, eine Scheiße nach der anderen passierte.
Aber irgendwie war das okay, denn es war ja immer Ruby dabei.
Und mit dem war das alles ganz gut zu ertragen.
Sebastian ließ sich vorsichtig auf sein Bett sinken und seufzte erleichtert auf.
"Mein Bett ist viel gemütlicher als Georgias... ich bin für eine Dreiecksbeziehung. Du, ich und das Bett, was meinst du...?"
Er drehte sich vorsichtig auf die Seite und legte seine gestützten und verbundenen Handgelenke irgendwie so ab, dass sie keine Gefahr liefen, unter irgendwelche anderen Körperteile zu geraten.
Immerhin hatte er gerade keine Schmerzen, das war so wundervoll, dass er sogar ziemlich gute Laune bekam.
"Schlaf gut", seufzte er und schloss die Augen.

Ruben legte sich hinter Sebastian und hauchte ihm noch einen Kuss in den Nacken, bevor er die Augen schloss und auch relativ schnell einschlief.
Das war aber auch zu viel Aufregung gewesen, und das um eine Uhrzeit um die kein Tag anfangen sollte.
Schon gar kein Sonntag.
Aber er durfte sich wohl nicht beschweren, immerhin war er hier nicht der Leidtragende.
Als er die Augen irgendwann wieder aufschlug, war er deutlich ausgeruhter.
Ein kurzer Blick auf die Uhr zeigte auch warum, zehn vor Elf war doch schon eine deutlich annehmbarere Zeit.
War Sebastian wohl schon wach?
Das konnte er ohne sich zu bewegen nicht sehen. Und wenn er sich bewegte, würde Sebastian wohl sowieso aufwachen.
Aber jetzt wo Ruben wach war, konnte er eh nicht mehr still liegen, und Hunger hatte er auch.
Es half nichts, sie mussten wohl aufstehen.
"Morgen", flüsterte er, während er sich aufsetzte. "Zum zweiten Mal."
Er beugte sich über seinen Freund und küsste ihn sanft, bevor er sich wieder etwas zurück zog und beobachtete, wie der Ältere ebenfalls erwachte.
"Wollen wir gleich mal gucken, ob Wes und David schon wach sind?", schlug er vor, als sein Freund einen ansprechbaren Eindruck machte.
"Vielleicht können wir ja relativ bald fahren, dann können wir uns im Internat noch nen gemütlichen, faulen Abend machen... oder wolltest du den Nachmittag über noch hier bleiben?"

Sebastian schlief wie ein Toter.
Er träumte nicht einmal, was er gar nicht glauben konnte, immerhin hatte er in der vergangenen Nacht so viel wieder aufgewirbelt.
Doch die Erschöpfung, die Schmerzmittel, das warme, gemütliche Bett und sein Freund, den er nahe bei sich spüren und auch riechen konnte, taten ihr Bestes, sodass er ganz angenehm erwachte.
Sehr angenehm, immerhin wurde er mit einem Kuss geweckt.
"Morgen", murmelte er und gähnte, während er sich etwas aufrappelte. "Ähm..."
Mist, jetzt zwickte es doch etwas in den Handgelenken, aber das war alles noch im Rahmen.
So ruhig gestellt konnte auch nicht viel passieren.
"Wir müssen uns erst mal eine gute Geschichte einfallen lassen", meinte der Kapitän und lächelte schwach, während er auf seine Unterarme blickte. "Ähm... ob die uns glauben, wenn ich sage, dass ich im Bad ausgerutscht bin? Oder... in der Disko und hab es wegen des Alkohols nicht gemerkt...? Das klingt irgendwie alles so schwammig. Naja..."
Auf Sebastians Gesicht trat ein kleines Grinsen.
"Wenn wir einfach sagen, es ist beim Sex passiert, das glaubt uns jeder sofort."

"Ich denke, ein bisschen schwammig ist schon okay", überlegte Ruben.
Gut dass Sebastian mitdachte.
Die eingegipsten Arme waren ja nun nicht gerade unauffällig.
"Mir fällt auch nur Unsinn ein, und dass wir gestern Nacht weder rausgeschlichen sind um Fußball zu spielen, Skaten zu gehen oder Parcours zu trainieren wird wahrscheinlich jedem klar sein."
Er kletterte vorsichtig aus dem Bett und streckte sich dann ausgibig.
"Vielleicht wär das mit dem Sex eigentlich ne gute Sache, ich glaube nicht, dass irgendjemand nach Einzelheiten fragen würde. Aber ich hab Angst vor deinem Bruder, darum bleiben wir mal bei den schwammigen Ausreden, okay?"
Nachdenklich legte er seinen Kopf schief und ließ sich wieder auf die Bettkante sinken. Gedankenverloren begann er Sebastian mit seinen Fingernägeln leicht im Nacken zu kraulen.
"Im Badezimmer ausrutschen kann man ja wirklich... und wenn du unbedingt eine sexuelle Fußnote anfügen willst, kannst du ja behaupten dass wir zusammen duschen wollten oder so."
Ideal war das zwar nicht, aber man musste auch erst mal eine ideale Geschichte finden, die in zwei gebrochenen Handgelenken endete und dabei weder übertrieben oder peinlich war.
Wahrscheinlich gab es solche Geschichten gar nicht.

"Ja... stimmt, Yoshi wird das nur als Aufhänger sehen, um dich noch etwas mehr zu foppen", murmelte Sebastian und schloss genießend die Augen, als er die sanften, kraulenden Fingernägel in seinem Nacken spürte.
Wär er eine Katze, hätte er wohl angefangen, zu schnurren.
Schon seltsam, so schrecklich die Nacht auch gewesen war, irgendwie war es sehr befreiend gewesen, sodass er jetzt ziemlich entspannt und ruhig war.
"Lass uns das mit der Dusche erzählen, das find ich plausibel. Auch wenn die Angestellten dann Probleme bekommen werden, weil sie nicht dafür gesorgt haben, dass alles rutschfest ist. Aber das sind die schon gewöhnt, Georgia verarscht die nach Strich und Faden."
Er reckte sich und stand dann auf.
"Aber ich will hier nicht unbedingt so lange noch bleiben. Meinetwegen können wir jetzt was essen und uns dann auf den Weg machen. Hey, jetzt hab ich sogar drei Ausreden, warum ich nicht fahren kann."
Glucksend machte sich Sebastian an die doch recht komplizierte Aufgabe, sich taugliche Klamotten anzuziehen, dann packten sie alles und gingen hinunter.
Tatsächlich glaubten die Jungs die Geschichte mit der Dusche, wobei David missbilligend, Wes amüsiert und Joshua stolz auf seinen großen Bruder aussah.
Am späten Nachmittag kamen sie dann wieder an der Dalton an und alles in allem musste Sebastian sagen, dass es ein schönes Wochenende gewesen war.
EIn intensives, zweifellos, und auch kein einfaches.
Aber es war schön gewesen, und er und Ruby waren sich noch ein riesiges Stück näher gekommen.