...

Es war schon faszinierend, was eine Privatversicherung ausmachte.
Wäre Sebastian nur Kassenpatient, hätte er wohl ein paar Stunden warten müssen, doch so wurde er fast sofort dran genommen.
"Du musst nicht mitkommen", sagte Sebastian. "Kannst ja hier im Warteraum ein Bisschen schlafen, wenn du willst."
"Kommen Sie bitte mit, Mr. Smythe", sagte der Arzt, der gerade aus dem Behandlungsraum kam.
Am liebsten hätte Sebastian Rubys Hand noch einmal kurz gedrückt, aber das war im Moment ja leider nicht drin.
Stattdessen strich er ihm vorsichtig über den Arm und folgte dann dem Arzt.
"Das sieht ja abenteuerlich aus. Was ist denn passiert?"
"Naja... das Übliche. Ein Bisschen rum gemacht, ein paar Fesselspielchen... was man als Teenager eben so macht."
"Was Sie nicht sagen", meinte der Mann schmunzelnd. "Da müssen Sie ja eine talentierte Freundin haben."
"Der Junge, der draußen im Warteraum sitzt und auf mich wartet", sagte Sebastian und grinste etwas. "Er hat eine wirklich wahnsinnig talentierte Zunge."
"Mhm..."
Der Arzt schüttelte mit einem leisen Lächeln den Kopf, während er begann, Sebastians Handgelenke abzutasten.
Der Schüler zischte schmerzerfüllt und der Arzt nickte.
"Das müssen wir röntgen."

"Okay, dann bis gleich", antwortete Ruben und lächelte Sebastian aufmunternd zu, als der Arzt kam um ihn abzuholen.
Schlafen würde er hier aber ganz bestimmt nicht.
Das würde er, wenn alles nach Plan lief, einfach auf der Rückfahrt machen, vorzugsweise an seinen Freund gekuschelt und nicht in einem öffentlichen Krankenhaus neben einem müffelnden alten Mann, dessen eigentlich weißer Schnäuzer genau wie der dicke Verband um seinen Zeigefinger bereits eine nikotingelbe Färbung angenommen hatte.
Während Sebastian behandelt wurde machte sich Ruben auf die Suche nach der Caféteria, die aber noch nichtmal geöffnet hatte.
Täglich ab acht Uhr, na besten Dank auch. Gerade vor acht Uhr war Kaffee doch ein unverzichtbares Lebenselixier.
Zum Glück fand er einen Automaten, dem er zwei Becher voll abkaufte. Entweder war einer davon für Sebastian, oder er würde sie eben beide alleine trinken, je nachdem wie lange es bei seinem Freund dauerte.
Ruben setzte sich ins Wartezimmer zurück, aus dem der alte Mann zum Glück verschwunden war, und schnappte sich eine Zeitschrift um sich die Zeit zu vertreiben.

Trotz Privatversicherung dauerte es ewig, bis Sebastian endlich fertig war.
Genervt und deprimiert kam er eine Stunde später wieder in den Warteraum, wo sein Freund treu wartend saß und in einer Zeitschrift blätterte.
"So, endlich geschafft", meinte er und hob seine eingegipsten Arme. "Links verschobener Speichenbruch und rechts Speiche und Elle. Und wir stehen jetzt hier im Krankenhaus unter den Top10 der verrücktesten Sex-Unfälle. Ich würde dir einen High Five abverlangen, aber dann riskiere ich auch noch den letzten Unterarmknochen."
Immerhin hatte er nicht mehr solche Schmerzen. Der Arzt hatte ihm eine Betäubung in beide Handgelenke gespritzt, doch in Zukunft würde er wohl auf Schmerztabletten umsteigen müssen.
Oder es tat hoffentlich nicht mehr so weh, wenn die Schwellung erst einmal abgeklungen war.
"Was meinst du? Fahren wir zurück und hauen uns noch mal eine oder zwei Runden hin? Zum Schlafen, versteht sich."

Erschrocken klappte Ruben die Zeitschrift, in der er gerade einen Artikel über die neusten Kinohits gelesen hatte - zumindest bis er entdeckt hatte, dass Avengers an erster Stelle stand, was ihn an der Aktualität der Magazine in diesem Wartezimmer zweifeln ließ.
"Shit", fasste er zusammen, nachdem Sebastian die Diagnose durchgegeben hatte.
Und unter den Top 10 zu sein war auch ein eher zweifelhaftes Erfolgserlebnis.
Zum Glück schien es dem Älteren bisher wenigstens noch nicht in den Kopf gekommen zu sein, dass sich das Lacrosse Trainig in nächster Zeit schwierig gestalten könnte.
Das würde seine Laune bestimmt noch um einige Grad sinken lassen... na, wenn er Glück hatte kam Sebastian erst dahinter, wenn sie wieder an der Dalton waren.
An der Dalton bei den ganzen neugierigen Klatschmäulern... yay.
Da konnten sie sich wohl auch noch auf so einiges gefasst machen.
"Schlafen klingt gut", stimmte er zu und verließ mit seinem Freund das Krankenhaus.
War auch mal angenehm, so einen Schuppen fix wieder verlassen zu dürfen.
Dankenswerterweise begegneten sie niemandem auf den Weg in Sebastians Zimmer, auch wenn Ruben schwören könnte, dass die Hälfte aller Bediensteten hier sie wahrscheinlich trotzdem gesehen hatte.
Diese Leute waren quasi unsichtbar, das war geradezu unheimlich.
"Jetzt kommt es mir ganz gelegen, dass ich im Krankenhaus aus Versehen entkoffinierten Kaffee erwischt hab", murmelte er grinsend, als er sich in Sebastians Zimmer die Schuhe auszog.
"Sonst würde das mit dem Schlafen bestimmt schwierig werden."

--> Anwesen der Familie Smythe / Sebastians Zimmer //